Picea alpestris Brügger.

Eine neue Fichte der Schweizer Alpen.

Von Garteninspektor B. Stein in Breslau.

Welches Aufsehen in botanischen und gärtnerischen Kreisen erregte es vor fünfzehn Jahren, als Professor PANCIC die Omorika als neues, das heisst von den Botanikern bis dahin übersehenes Nadelholz der Gebirge Südost-Europas nachwies, und nun veroffentlicht soeben Professor BRÜGGER in Chur, der eifrigste Durchforscher und genaueste Kenner der kritischen Pflanzenformen der Schweiz eine eingehende Schilderung einer bisher übersehenen Fichte der Alpenzüge Graubündens, welche dort nicht in einzelnen Exemplare, sondern Wäldern bildend – gerade wie die Omorika in den serbischen Gebirgen – auftritt.

Ebenso wie die Omorika dem Volke von jeher bekannt war, lange ehe ihre botanishen Unterschiede geprüft, erkannt une veröffentlicht wurden, ist auch die Alpenfichte dem Landvolke Graubündens eine längst bekannte und von ihm unterschiedene Baumart. Das Volk der Alpen hat für Pflanzen-formen überhaupt einen sehr beachtenswerten, hoch entwickelten Blick, und man kann sicher sein, dass Pflanzenn welche der tyroler oder schweizer Bauer mit eigenen Namen belegt, auch wirklich verschieden von einander sind. Professor BRÜGGER schreibt über die Alpenfichte folgendes :

Picea (excelsa) alpestris Brügger. (Jahres-Berichte XVII, p. 154, Flor. Cur. 49. Pinus Abies medioxima Nylander, HEER in Verhandlgn. d. Schweizer Naturforschenden Gesellschaft, Solothurn 1869, pag. 70.)

"In einigen romanischredenden Gegenden Graubündens unterscheidet selbst das Volk diesen Baum unter dem Namen "Abiez selvadi" d. h. "wilde Weisstanne" von der gemeinen Fichte oder Rottanne ("pign"), und gerade dieser Umstand führte mich im Jahre 1865 zuerst zu einer näheren Untersuchung und botanischen Unterscheidung dieser Baumform in einer Region (Lenzerheide 1475 m), wo an ein Vorkommen der eigentlichen "aviez" d. h. Weisstanne bei uns nicht zu denken war. An unsere letztere Art (Abies pectinata. D. C. Pinus picea L.), und fast noch mehr an die nordamerikanische Weiss- oder Schimmelfichte (P. alba Mchx.), erinnert in der That, von weitem betrachtet, die duftige schimmelgrüne (hellblaulichgrüne) Farbung des Nadelwerkes, namentlich an den Jungtrieben der Picea alpestris, weshalb ich sie damals auch als var. alpestris oder glaucescens hand-schriftlich (auch in Sammlungen wie Herb. Hegtschw.) bezeichnet hatte". Prof. O. HEER, einer der gründlichsten Kenner der fossilen wie lebenden Koniferen, hat dann im Jahre 1869 bei der Jahresversammlung der Schweizer. Naturforsch. Gesellsch. diese "Form mit abgerundeter Schuppe und weisslichem Anflug der Nadeln" besprochen und mit P. abies var. medioxima Nyl. identifiziert, welche zuerst im Norden beobachtet und dort lange fälschlich für P. orientalis gehalten, aber (1863) von NYLANDER getrennt und seither auch im Engadin und anderen Alpengegenden beobachtet worden sei. Dabei stützte sich HEER auf die Materialien, zahlreiche Zweige und Zapfen, welche ich während der Jahre 1865-69 von mehr als einem Dutzend Lokalitäten der östlichen Schweizer Alpen zusammengebracht hatte, die mit nordischen Zapfen verglichen wurden. Von Landeck in Tirol bis Engstlenalp (am Titlis) im Berner Oberland und vom Walen bis zum Comer-See habe ich z. Z. das allgemeine Vorkommen dieser Form in der Region zwischen 1300-1950 m, vorzugsweise auf krystallinischer Gebirgsart, für die meisten Thäler durch eigene Anschauung konstatiert." So schrieb ich vor 12 Jahren in dieser Zeitschrift, als ich dort jene merkwürdigen "Krüppelzapfen"-Bildungen dieser Fichtenform besprach und illustrierte, die seither auch von verschiedenen anderen Forschern in mehreren Gegenden Graubündens und der Schweiz, sowie auch Böhmens und Norddeutschlands beobachtet worden sind. Seither ist mir nun aber die Identität unserer Alpenfichte (alpestris) mit der nordischen oder sog. "mittelstandigen" Fichte (medioxima), welch letztere bereits von mehreren Autoritäten (wie A. MURRAY 1870, EL. FRIES, K. KOCH 1873) zum Range einer "guten Spezies" erhoben wurde, mehr als zweifelhaft geworden. HEER hatte, wie mir noch genau erinnerlich ist, zur Vergleichung einen Zapfen aus dem Norden (angeblich von Abies medioxima Nyl.) durch den befreundeten Professor AL. BRAUN in Berlin erhalten, als er (1869) unsere Alpenform zuerst für identisch mit der NYLANDERschen medioxima erklärte. Es ist wohl derselbe Zapfen von 7 cm Lange und 2,8 cm Dicke, mit dunkeln (sonst violetten) , etwas glänzenden, stumpfen, abgerundeten und durchaus ganzrandigen Schuppen, welcher sich nach gefl. Mitteilung von Herrn Director JÄGGI noch dermalen im botanischen Museum des Polytechnikums in Zürich vor-findet, aber die Bezeichnung P. Schrenkiana Aut. (DC. prodr. XVI p.415) trägt, während unter dem Namen medioxima keiner vorhanden ist. Es hat also HEER die frühere Bestimmung der letzteren später (jedenfalls erst nach 1870) in die erste umgeändert oder aber beide als synonym genommen, was bei der in Auffassung und Umgrenzung dieser und einiger nahe verwandten Koniferen-Formen aus dem Norden der alten und neuen Welt auch unter den besten Autoren herrschenden Konfusion gerade nicht unwahrscheinlich wäre. Indessen hat HEER selbst über seine (frühere) medioxima-Form später nichts mehr publiziert und wäre eine nochmalige gründliche Vergleichung von Original-Exemplaren der echten nordischen medioxima Nyl. mit unserer Alpenform ausserst wünschbar. Da mir jedoch die Herbei-schaffung der ersteren bisher nicht möglich war, so muss ich mich für einstweilen an die Beschreibungen (die jetzt ausführlicher als früher vorliegen) halten, welche man bei den besten Autoren findet. Darnach glaube ich nun entschieden, trotz der nahen Verwandtschaft, dennoch auf eine gewisse Verschiedenheit unserer Alpenfichte von der nordischen schliessen zu dürfen und beide als analoge Formen desselben Grund-Typus auffassen zu sollen, wie etwa bei Alnus incana die Formen alpestris und borealis. Doch habe ich bei fortgesetztem Studium unserer Alpenfichte ausser in Zapfen und Kolorit noch eine ganze Reihe weiterer Unterscheidungsmerkmale (am Stamm, Nadelwerk, den Zweigen, Blütenkatzchen) gegenüber der gemeinen Fichte gefunden, ohne dass deutliche Übergange zu beobachten waren, so dass ich es für vollkommen gerechtfertigt erachte, Picea alpestris als eine besondere Subspezies von P. excelsa zu trennen, wofür hier mindestens ebensoviele Gründe sprechen als z. B. bei den zahlreichen Formen der Bergföhre (Pinus montana Mill.).

Wo beide Formen nahe beisammen oder durcheinander stehen, wie das um Parpan und auf der Heide bei 1370 bis 1600 m ganz gewohnlich der Fall ist, da erkennt man die Alpenfichte schon von weitem an dem gedrungenen Habitus, dem steifen starren Gezweige, dem graulich oder blaulichweissen Duft oder Reif des Nadelwerkes, besonders der Jungtriebe und der weisslich-grauen Borke des Stammes, wodurch sie wirklich im Ganzen mehr an die Weisstanne mahnt als an die Rottanne (mit ihrer rotbraunen Borke, ihren schlankeren, mehr hängenden Zweigen und ihrem duftlosen dunkelgrünen Nadelwerk).

Bei näherer Betrachtung und genauer Vergleichung ergeben sich überdies nachfolgende Unterschiede.

Picea alpestris: Junge Triebe sammethaarig (dicht kurzhaarig), Zweige und Nadeln steifer, dicker, letztere fast rechtwinklig abstehend, einwärts-gekrümmt und an älteren Zweigen fast einerseitswendig ; Nadeln kürzer (15-18 mm lang) und deutlicher vierkantig (mit rhombischem Querschnitt), weniger zugespitzt, stumpflich oder spitzlich, kaum stechend, getrocknet ölgrün bis gelblichgrün ; Blütenkätzchen heller, weisslich, etwa um 1/3 kürzer, ♂ mit schwächer und seichter gezähnelten Schuppen, ♀ Kätzchen 4 cm lang, Fruchtzapfen ca. 1/3 kürzer (7,5-12,5 cm lang), Schuppen vorne abgerundet und ganzrandig.

Picea excelsa: Zweige kahl oder kaum schwach flaumig, Nadeln länger (15-25 mm), mehr zusammengedrückt (Querschnitt länglich-lanzettlich), mehr zugespitzt, stachelspitz und stechend, auch getrocknet dunkelgrün ; Blüten-kätzchen rot, 1/3 länger, ♀ 5-6 mm lang, Fruchtzapfen ebenfalls grösser, 12-16 cm lang, Schuppen rhombisch-keilformig, gestutzt oder ausgerandet und gezähnelt.

In der Umgebung des Kurortes St. Bernhardin (V. Misocco) bei 1600-1800 m, wo Picea alpestris (wie um Parpan) die herrschende Baumart ist, habe ich an frisch gefallten Stammen von 35 cm Dicke ca. 100 Jahresringe und an solchen von 75 cm Dicke 150-160 Jahresringe gezählt. Dass das Holz unserer Alpenfichte, wohl wegen der grösseren Dichtigkeit und Regelmassigkeit der Jahresringe, eigentümliche technische Eigenschaften besitze, schliesse ich sowohl aus den Ausserungen inlandischer Schreiner, als aus den Erfahrungen renommierter Pianoforte-Fabrikanten (SPRECHER) in Zürich, denen die Alpenfichten von Davos und Schanfigg schon vortreffliches Resonanzholz geliefert haben." (Brgg. l. c.) Dies hat offenbar schon der alte treffliche J. J. SCHEUCHZER gewusst, wenn er (also vor 180 Jahren!) schreibt: . . . . . "Ist sich nicht zu verwundern, dass die Berg-Bäume gemeinlich ein weit dauerhafter und milder Holz haben als andere, so in den Thälern, oder sonst niedrigen Landen, wachsen. Dies gewahren unsere Handwerksleute, welche mit dem Holz umgehen. Im Glarnerland unterscheidet man alles Bauholz in das Hoch- und Niederwälder, und wird jenes als das dauerhaftere mehrenteils zu holzernen Häusern gebraucht. Unsere Schreiner zeichen dem gemeinen bei uns wachsenden rottannenen Holz vor das sogenannte "Hochwälder-Holz", so ihnen aus den hohen Wäldern des Glarnerlands zukommt, weilen dies leichter, luftiger, von engeren Jahren, folglich zu allerhand, sonderlich Resonanz-Boden, und anderen der Musik dienenden Schreiner-Arbeiten bequemer" . . . .

Wir können dieser ausführlichen Beschreibung BRÜGGERS nur den Wunsch beifügen, dass nunmehr auch in anderen Bergketten auf das etwaige Auftreten dieser interessanten Fichte geachtet werden möge, besonders in der obern Region des Riesengebirges. BRÜGGER bespricht in dem citierten Werke noch einige hochinteressante Bastarde der Kieferngruppe in den Alpen. Es sind :

1. Pinus rhaetica Brgg. = P. montana X silvestris Brrg.

2. P. (rhaetica Brrg.) Heerii Brgg. = P. uncinata X engadinensis Brrg.; beide Bastarde im Walde .Plaungood" im Oberengadin neben den Stammformen.

3. P. (rhaetica Brrg.) pyramidalis Brrg. = P. humilis X silvestris f. submontana, am linken Ufer der Albula, in der sogen. Weid (arvadi) beim Alvaneuerbad c. 950 m.

4. P. (rhaetica Brrg.) Christii Brgg. = humilis X silvestris, im Chamogasker Thal (Ober-Engadin) bei 1950 m (Christ) und im Walde von Tegd ob Savognin (Oberhalbstein) bei nur 1350 m (Brrg.)